Abwasser zum Baden

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Heidelberg-Neurott, eine nicht an das öffentliche Kanalisationsnetz angeschlossene Siedlung mit 60 Einwohnern, erhält eine eigene dezentrale Membrankläranlage, denn der Anschluss an die Zentralkläranlage wäre teurer gewesen. Entwickelt und konzipiert vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart, ist sie deutschlandweit die erste Kläranlage mit modernster Membrantechnologie in der Vor- und Nachklärung. Das gereinigte Abwasser sucht seinesgleichen: Die Keimbelastung ist durch den Einsatz der Membranfilter so gering, dass die Richtlinie der EU für Badegewässer erfüllt wird und die Ablaufwerte sind besser als die für Großkläranlagen vorgeschriebenen Werte. Am 17. Dezember 2005 wird die Anlage offiziell eingeweiht.

Herzstück der Membrankläranlage sind die Rotationsscheibenfilter.
Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner.
Professor Walter Trösch und Wissenschaftlerin Tosca Zech während der Einweihung am 17. Dezember 2005.

Neurott ist eine kleine Siedlung südlich von Heidelberg. Ein paar Bauernhöfe, 60 Einwohner, eine Gaststätte als beliebtes Ausflugsziel. Die ländliche Idylle wurde allein getrübt durch das Fehlen einer »ordentlichen« Abwasserreinigung. Bis vor kurzem wurden häusliches Schmutzwasser und Fäkalien in abflusslose Gruben geleitet, deren Inhalt regelmäßig entsorgt werden musste. Jede Entleerung belastet aber die Umwelt, weil stickstoffreiches Abwasser in Grund und Boden gelangt. Doch das ist nun Vergangenheit. Heidelberg-Neurott hat eine eigene kleine Kläranlage erhalten, ausgelegt für 100 Einwohnerwerte.

Am 17. Dezember 2005 wurde die deutschlandweit erste semi-dezentrale Membrankläranlage, die über eine Membranvorfiltration und eine biologische Stickstoffentfernung verfügt, durch den Verbandsvorsitzenden des Abwasserzweckverbands Heidelberg und Ersten Bürgermeister der Stadt Heidelberg, Prof. Dr. Raban von der Malsburg, und Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner eingeweiht. Modernste Technik für den ländlichen Raum, entwickelt und konzipiert vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. Das Wasser, das die Kläranlage verlässt, ist sauberer als das von zentralen Großkläranlagen – locker erfüllt es die Einleitbedingungen von Anlagen für über 100 000 Einwohnerwerte. Beispiel chemischer Sauerstoffbedarf (CSB): Bei herkömmlichen Kleinkläranlagen darf der CSB 100 Milligramm pro Liter nicht überschreiten. Großkläranlagen (> 100 000 Einwohnerwerte) müssen unter einem CSB von 75 bleiben, die Membrankläranlage in Neurott erreicht aber sogar einen CSB von deutlich unter 50.

Grund genug für den Abwasserzweckverband Heidelberg, das Abwasser der entlegenen Siedlung nicht durch kilometerlange Kanäle zur nächsten zentralen Kläranlage Heidelbergs zu transportieren. Zumal der Anschluss an das öffentliche Netz viel teurer gewesen wäre. Die Bewohner Neurotts blieben so von lang andauernden Tiefbauarbeiten verschont. Vielmehr erhielt jedes Haus ein kleineres Pumpwerk, welches das Abwasser zum Vorlagebehälter der neuen Kläranlage führt. Die gesamte neue Technik der semi-dezentralen Anlage findet Platz im alten Feuerwehrgerätehaus.

Vom Vorlagebehälter gelangt das häusliche Abwasser über die Vorklärung in eine Vorfiltration, in der das Abwasser in einen feststofffreien, kohlenstoffarmen Filtratstrom und einen feststoffreichen Konzentratstrom aufgetrennt wird. Der wässerige Filtratstrom wird zunächst von Phosphat befreit und dann biologisch in geschlossenen Reaktoren gereinigt: In der ersten Stufe, einer vorgeschalteten Denitrifikation, wandeln Mikroorganismen Nitrat aus dem Abwasser zu elementarem Stickstoff um; in der zweiten Stufe, einem aerob betriebenen Membranbioreaktor, erfolgt die Nitrifikation, in der Ammonium zu Nitrat umgewandelt wird. Der hier anfallende belebte Schlamm wird direkt in einer nachgeschalteten Membranfiltrationsstufe abgetrennt.

Herzstück der beiden Membrantrennstufen der Kläranlage sind die vom Fraunhofer IGB entwickelten und von der Firma Bellmer in Lizenz gefertigten Rotationsscheibenfilter. Auf einer rotierenden Hohlwelle sitzen keramische Membranfilterscheiben. Während Feststoffe und Mikroorganismen die Poren der Membranfilter nicht passieren können, dringt Wasser durch sie hindurch. Das gereinigte Wasser sammelt sich im Innern der Filterscheiben und wird zentral über die Hohlwelle abgeführt. Der Clou dabei: Die Rotation der Filterscheiben – genauer gesagt die Zentrifugalkraft – bewirkt, dass die Deckschicht auf den Filterscheiben nicht zu dick wird und Festgesetztes sich wieder ablöst. So ist ein störungsarmer und wirtschaftlicher Betrieb möglich.

»Das gereinigte Abwasser ist – im Hinblick auf Ablaufwerte und Keimbelastung – so sauber, dass man darin baden könnte: Es erfüllt die Badegewässerrichtlinie der EU und kann ohne Bedenken in den nahe gelegenen Leimbach eingeleitet werden – dessen Wasserqualität wird durch das Einleiten von Abwasser sogar verbessert!« betont Professor Walter Trösch, stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer IGB. Der belebte Schlamm aus dem Membranbioreaktor wird zusammen mit dem in der Vorfiltration abgetrennten Konzentratstrom als Primärschlamm gesammelt und dann der modernen Hochleistungsfaulung der zentralen Kläranlage Heidelberg zugeführt. Diese Hochleistungsfaulung arbeitet wesentlich effizienter als herkömmliche Faultürme und produziert mehr Biogas. Auch sie wurde vom Fraunhofer IGB entwickelt.

Das Beispiel könnte Schule machen. Neurott ist kein Einzelfall. Zwar sind bundesweit mittlerweile mehr als 93 Prozent aller Haushalte über die öffentliche Kanalisation an zentrale Kläranlagen angeschlossen. Zwischen alten und neuen Bundesländern gibt es aber noch deutliche Unterschiede:
Während im Westen bereits 96 Prozent aller Haushalte angeschlossen sind, beträgt der Anteil im Osten – mit teils weniger dichter Besiedelung – erst 76 Prozent. Gerade für ländliche Gebiete sind aber semi-dezentrale Anlagen für 100 bis 1 000 Einwohnerwerte besonders gut geeignet, da die Kosten häufig geringer sind als für einen Anschluss an die Zentralkläranlage.

Dem Ziel, die Umwelt zu schonen, werden die technologisch überlegenen semi-dezentralen Anlagen ebenfalls gerecht. Gerade der gegenüber Nitraten und Phosphaten besonders sensible ländliche Raum profitiert vom Abbau der Nährsalze. Zudem kann ohne großen technischen Aufwand das Regenwasser getrennt gesammelt, wenn gewünscht individuell genutzt oder aber versickert werden, um dem Absinken des Grundwasserspiegels entgegenzuwirken.

Auch wenn die Anlage in Heidelberg-Neurott klein ist (100 Einwohnerwerte), so ist sie doch das Demonstrationsmodell für urbane Kläranlagen der Zukunft bis 50 000 Einwohnerwerte: »Mit industriell vorgefertigten und im Aufbau identischen Modulen, reduzierten Betriebskosten und höchster Qualität der Ablaufwerte könnte sie zum Exportschlager Made in Germany werden«, sagt Walter Trösch.

Die Voruntersuchungen für dieses Vorhaben wurden gefördert vom Umweltministerium Baden-Württemberg. Die im Labor- und Technikumsmaßstab gewonnenen Ergebnisse wurden unter Federführung des Fraunhofer IGB in den realen Maßstab übertragen. Die Begleituntersuchungen für den Aufbau der Pilotanlage werden im Projekt »Dezentral Urbanes Infrastruktur-System (DEUS 21)« vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.