TheraVision – Plattformtechnologie zur Entwicklung, Herstellung und Testung von Viren zur Tumortherapie

Plaquebildung durch grün fluoreszierende HSV1-Viren.

Projekttitel: TheraVision

Laufzeit: 01.04.2017 – 31.12.2020

Gefördert im Rahmen des Fraunhofer-internen Programms MAVO, Förderkennzeichen: 01EZ1113F

Koordinatorin: Prof. Dr. Susanne M. Bailer, Fraunhofer IGB, Stuttgart

Überblick und Zusammenfassung

Viren haben enormes Potenzial, für therapeutische Zwecke eingesetzt zu werden, sei es als Impfstoffträger oder als Vektoren für die Zell-, Gen- sowie Tumortherapie. Zur gezielten therapeutischen Anwendung werden Viren durch Integration von therapeutischen Transgenen funktionalisiert. Im Rahmen der MAVO TheraVision, koordiniert vom Fraunhofer IGB Stuttgart, konnte erfolgreich eine Onkolytische Virus (OV)-Technologie auf Basis von Herpes Simplex Virus 1 (HSV1) entwickelt werden, die die Ansprüche höchster Sicherheit adressiert und durch die modulare Integration von Transgenen die Herstellung funktionalisierter Viren erlaubt.

Auf Basis der drei Säulen a) Engineering von therapeutischen Virus-Vektoren, b) Herstellung der Viren mit GMP-fähigen Produktionsverfahren und c) Testung mittels neuer und aussagefähigerer präklinischer In-vitro- und In-vivo-Modelle zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit steht nun eine komplette Fraunhofer-interne Entwicklungspipeline für die kombinierte Virus-Immuntherapie von Tumorerkrankungen bereit. 

Als Proof of Concept ist ein onkolytisches Virus zur Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) in der Entwicklung. Durch weitere gezielte Optimierung und ein vertieftes Verständnis der Wirkmechanismen kann das enorme Potenzial dieser personalisierten Krebstherapie gehoben und in die Klinik translatiert werden. Durch die MAVO TheraVision konnte in den Bereichen Virus-Engineering, -Herstellung und -Testung Pionierarbeit geleistet und damit bei allen Partner-Instituten eine maßgebliche Erweiterung ihrer Geschäftsfelder erreicht werden. TheraVision ist im Leitmarkt Gesundheitswirtschaft und im Strategischen Forschungsfeld »Intelligente Medizin« angesiedelt.

Motivation

Krebs ist eine Krankheit, die viele von uns direkt oder indirekt betrifft. In Deutschland stellt Krebs nach den Herz-Kreislauferkrankungen die zweithäufigste Todesursache dar. Weltweit waren im Jahr 2018 ca. 8 Millionen Menschen Opfer von Krebs, mit zunehmender Tendenz insbesondere durch die wachsende Bevölkerung und die steigende Lebenserwartung.

Über lange Jahre dominierten konventionelle Therapieformen (Chirurgie, Radio- und Chemotherapie) mit mäßigem Erfolg die Behandlung von Krebserkrankungen. Erst im letzten Jahrzehnt konnten alternative und immer stärker personalisierte Therapie-Konzepte erhebliche Fortschritte in der Krebsbehandlung erzielen. Zu den großen Hoffnungsträgern gehören Immuntherapien und onkolytische Viren. Mithilfe dieser Therapieansätze sollen Nebenwirkungen, wie sie bei konventionellen Ansätzen auftreten, reduziert, die Anzahl der auf die Therapie ansprechenden Patienten erhöht sowie nachhaltige, langfristige Therapieerfolge erzielt werden.

Obwohl die Fähigkeit von Viren, Krebszellen abzutöten, seit langem bekannt ist, ist ihr therapeutisches Potenzial erst im letzten Jahrzehnt in den Fokus gerückt. Erste Ergebnisse aus präklinischen und klinischen Studien mit onkolytischen Viren sind vielversprechend. Ein HSV1-basiertes Virus, genannt Imlygic®, erhielt 2015 als erstes onkolytisches Virustherapeutikum die Zulassung von der Food and Drug Administration (FDA) zur Therapie des malignen Melanoms und wurde in Folge von der European Medicines Agency (EMA) anerkannt. Dieser Durchbruch wirkt stimulierend auf die Entwicklung neuer viraler Therapeutika. Als eine Alternative zur Virustherapie stehen sogenannte Immunmodulatoren insbesondere in Form von Immuncheckpoint-Inhibitoren im Fokus von Forschung und Entwicklung. Aktuell besteht große Hoffnung in der Kombination von immunmodulatorischen Therapien mit alternativen Therapieansätzen. Insbesondere die Kombination aus Virus- und Immuntherapien durch Co-Applikation dieser Therapieformen stellt eine aussichtsreiche Alternative dar und wird derzeit in ersten klinischen Studien untersucht.

Im Rahmen des Projekts TheraVision konnte nun ein proprietäres onkolytisches Plattform-Virus entwickelt werden. Durch Engineering wurde ein abgeschwächter und nicht-neurotoxischer und damit sicherer HSV-Vektor entwickelt. Durch Integration von Transgenen in den Virusvektor ist es gelungen, funktionelle Immunmodulatoren während der Virusvermehrung in Krebszellen zu exprimieren. Damit sind die Grundlagen für eine kombinierte Virus-Immuntherapie gelegt, bei der beide Therapieformen am Ort der Infektion konzertiert und synergistisch wirken können. Von dieser hochinnovativen Kombinationstherapie wird erwartet, dass sie eine effektive, sichere und nachhaltige Zerstörung von Tumoren sowie Metastasen ermöglicht und gleichzeitig die Gefahr von systemischen Nebenwirkungen minimiert.

Inzwischen konnte das Trägervirus im Rahmen des Projekts CoroVacc, erneut durch Förderung der Fraunhofer-Gesellschaft, zu einem SARS-CoV-2-spezifischen Impfstoff weiterentwickelt werden. Aufgrund einer modularen Herangehensweise kann das Trägervirus auch kurzfristig auf andere Erreger sowie alternativ auf Tumorantigene zur Krebsbekämpfung adaptiert und hinsichtlich seiner Impfwirkung getestet werden.

Projektbeschreibung und -ergebnisse

Ziel der MAVO TheraVision war die Etablierung einer breit einsetzbaren Plattformtechnologie zur kombinierten onkolytischen Virus-Immuntherapie auf Basis der drei Säulen i) Engineering der nächsten Generation therapeutischer Herpes Simplex Virus 1 (HSV1)-Vektoren, ii) Entwicklung geeigneter Herstellungsverfahren zum Einsatz der Viren als pharmazeutische Wirkstoffe und iii) Testung mittels neuer und aussagefähigerer präklinischer Modelle. Als Proof of Concept ist ein onkolytisches Virus zur Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (Non-Small Cell Lung Cancer, NSCLC), welches mit einer hohen Mortalitätsrate einhergeht, in Entwicklung.

Engineering eines Vektors / Virus

Zur Etablierung eines HSV1-Plattformvirus wurde ein klinisches Isolat mit hoher Potenz und Acyclovir-Sensitivität ausgewählt. Das Genom dieses HSV1-Isolats wurde als bakterielles Riesenchromosom (Bacterial Artificial Chromosome, BAC) in E. coli kloniert, um es damit der einfachen und gezielten Manipulation durch bakterielle Genetik zugänglich zu machen. Aus diesen BACs rekonstitutierte Viren waren in ihren Wachstumseigenschaften dem klinischen Isolat vergleichbar. Zur Integration von Fremdgenen in diesen HSV1-BAC wurden zwei Insertionsstellen im herpesviralen Genom identifiziert. Das Resultat war der sogenannte Plattform-Vektor zur modularen Insertion von Fremdgenen und damit zur vielfältigen Funktionalisierung des Virus. Durch Insertion von Transgenen entstanden potente funktionalisierte Viren, die sich durch ihre Eigenschaft der Zielsteuerung zu Tumorzellen auszeichnen und gleichzeitig mit ihrer Vermehrung therapeutische Proteine exprimieren, beispielsweise Immunmodulatoren.

Entwicklung eines Herstellungsprozesses

Im Rahmen der MAVO TheraVision wurde ein robustes und skalierbares Herstellungsverfahren für therapeutische Viren etabliert, das die nötigen GMP-Anforderungen (Good Manufacturing Practice) für die spätere Herstellung des klinischen Prüfpräparats berücksichtigt. Insbesondere werden hier kritische Prozessparameter im Up- und Downstream Processing, der Einsatz von Rohstoffen, das Verunreinigungsprofil, sowie die Stabilität von Intermediaten und des Produkts selbst adressiert. Die Virusproduktion basiert auf der Bioreaktorkultivierung von adhärenten Vero-Zellen auf sogenannten Microcarriern. Durch eine optimierte Prozessführung, in deren Fokus die abgestimmte Balance aus Zelldichte, Infektionszeitpunkt und Verhältnis infizierender Viren zur Lebendzellzahl steht, ist es gelungen, Virustiter von bis zu 6x107 pfu/mL Kulturüberstand zu erreichen. Das etablierte Verfahren zeichnet sich durch hohe Robustheit und Skalierbarkeit in dem für den klinischen Materialbedarf erforderlichen Maßstab aus. Prozessbegleitende Modellierungen wurden entwickelt, die dabei unterstützen, den Infektionszeitpunkt und den Erntezeitpunkt bezüglich der Zielfunktionen Ertrag, Leistung und Reinheit zu optimieren. Die korrespondierende Aufreinigungssequenz sieht den kombinierten Einsatz aus klassischen und neuartigen Chromatographiematerialien vor. Die Gesamtausbeute des Prozesses erreicht Purified-Bulk-Mengen, die für klinische Studien der Phasen I und II ausreichend sind.

Präklinische Testsysteme für eine kombinierte Virus-Immuntherapie

Zur Testung der Therapieeffekte von Viren mit kombinierter Virus- und Immuntherapie sind neue präklinische Modelle erforderlich, welche möglichst vergleichbar mit der Patientensituation sind. Der Proof-of-Concept für die kombinierte onkolytische Virus-Immuntherapie wird am Beispiel des NSCLC erbracht.

 

TP3.1 In-vitro-3D-Tumormodell

Zur in-vivo-nahen Testung wurden innerhalb der präklinischen Testplattform des TheraVision-Konsortiums neuartige Tumormodelle auf einer intestinalen Gewebe-Matrix (Small Intestinal Submucosa with mucosa, SISmuc) eingesetzt. Nach etwa zehn Tagen entstehen dabei Modelle mit einer gewebeähnlichen Homöostase. Durch Bioreaktoren kann der Gewebeaufbau verbessert und die Kultur- und Therapiedauer bis zu einigen Wochen verlängert werden. Für das Projekt wird ein Silikon-Bioreaktor entwickelt, der als Einwegreaktor kostengünstig im S2-Bereich einsetzbar ist. Die Wirksamkeit des HSV1 konnte im 3D-Lungenkarzinommodell an Zelllinien dosis- und zeitabhängig in einem Therapiezeitraum von drei bis sieben Tagen demonstriert werden. Der Bedarf der im Konsortium angestrebten Optimierung des Virus wird durch eine unvollständige Abtötung der Tumorzellen in tieferen Gewebestrukturen verdeutlicht. Quantifizierungen der Viruswirksamkeit im 3D-Modell sind anhand von HE-Färbungen, MTT-Testung und mithilfe von Lumineszenz-Detektion nach Luciferase-Transduktion möglich.

 

TP3.2. Mausmodelle mit Tumorzelllinien

Das neu etablierte Plattform-Virus wurde mithilfe von immundefizienten Mausmodellen mit biolumineszenten Lungenkarzinom-Zelllinien, welche mit einer hochsensitiven Lichtkamera in der Maus nachgewiesen werden können, getestet. Des Weiteren kann durch die Transplantation von humanen hämatopoetischen Stammzellen in diese immundefizienten Mäuse ein teilweise funktionelles humanes Immunsystem generiert werden. Die Kombination aus humanisierten Mäusen mit einem humanen Tumorwachstum bietet die Möglichkeit, auch Effekte, die auf einer Immunaktivierung beruhen, zu untersuchen. Alle drei Testverfahren wurden mit Modellviren sowie funktionalisierten HSV1-Viren für die In-vivo-Testung des neuen Therapieverfahrens eingesetzt. Diese Plattform-Testverfahren-Technologie kann zukünftig für diverse Tumortherapieansätze eingesetzt werden.

 

TP3.3 PDX-Mausmodell

Um die Wirksamkeit der Viren direkt an Patientenmaterial zu testen, wurden patient-derived xenograft (PDX)-Modelle aus Primärtumoren von NSCLC-Patienten generiert. Diese Modelle können dauerhaft kultiviert werden und wurden in Bezug auf die Expression der für die Virustherapie notwendigen Zielmoleküle charakterisiert. Zusätzlich zu den transplantierten PDX-Modellen wurden hämatopoetische Stammzellen aus Nabelschnurblutproben in immundefiziente Tiere injiziert, um so zusätzlich ein humanes Immunsystem zu generieren (humanisierte Mäuse). Mittels dieser Modelle kann nun die Wirksamkeit der onkolytischen Viren inklusive immunmodulatorischer Effekte auf Primärtumore und Metastasen in Anwesenheit humaner Immunzellen (insbesondere T-Zellen) direkt an Patientenmaterial analysiert werden.

Projektpartner

  • Fraunhofer IGB, Stuttgart: Prof. Dr. Susanne Bailer
  • Fraunhofer ITEM, Braunschweig: Prof. Dr. Holger Ziehr, Dr. Kathrin Bohle, Dr. Claudius Seitz
  • Fraunhofer ITWM, Kaiserslautern: Prof. Dr. Karl-Heinz Küfer
  • Fraunhofer ISC, Würzburg: Dr. Gudrun Dandekar
  • Fraunhofer IZI, Leipzig: Dr. Thomas Grunwald
  • Fraunhofer ITEM, Regensburg: Dr. Christian Werno